Nachtigallen in Springerstiefeln


Zur Lage der Dinge bei der "Kunst & Kultur - Kulturpolitische Zeitschrift der IG Medien"

konkret 4/2000


Was ist eigentlich mit der "Kunst & Kultur" los? In der aktuellen Ausgabe findet sich ein mehrseitiges Elaborat von Axel Matthes (S. 31), der sich offenbar mehr und mehr dazu berufen fühlt, nicht nur die gewohnheitsmäßig Unverstandenen und Abseitigen in seinem Kleinverlag zu veröffentlichen, sondern auch ganz direkt mit bizarren Einlassungen in den Kulturbetrieb einzugreifen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Verleger, der auch Schriftsteller sein will, die Geduld des Papiers erforscht, aber muss es wirklich Herrn Matthes gestattet werden, in der "Kunst & Kultur" Jean Paul zu loben, weil der "frei von Feminismus" sei?

Die albernen Witzchen Jean Pauls, die Matthes zum Beleg dieser Behauptung anführt, machen aus Jean Paul noch keinen Frauenfeind, sie allerdings zum Zwecke des Lobs auf so engem Raum zu konzentrieren, riecht nach Herrenabend. Und wenn Matthes die Hosen herunterlässt, bleibt es nicht bei ein paar peinlichen Bemerkungen zu Dummheiten seiner Lieblingsschriftsteller, denn er schöpft gern aus dem Vollen. "Jean Paul gehört wie Gustav Mahler zu den schlechthin unkritisierbaren Phänomenen". "Jedes Volk bringt sich durch einen Dichter in einer Höchstleistung an den Tag (...)" "Jean Paul ist ganz frei von der Antike, daher ohne Maß, daher deutsch." "Er kam zum Bewusstsein der Vergänglichkeit und setzte dagegen das Hochgefühl einer allumfassenden Liebe, eine Selbstüberwölbung und eine Art Vulkanismus."

Nun will die Kunst und Kultur weder ein geologisches Fachmagazin, noch ein Kirchenblättchen, noch ein Monatsheft für professionelle Selbstüberwölber sein, sondern die kulturpolitische Zeitschrift der IG Medien. Man kann sich also durchaus fragen, was diese Harzkörnchen aus dem Weihrauchfass des deutschen Bildungsspießers eigentlich in der Kunst & Kultur verloren haben. Die Antwort, jedenfalls für die letzten Jahrgänge: Sie passen nur zu gut. Es ist nicht nur Herr Matthes, der manchmal sein neues Verlagsprogramm im redaktionellen Teil der Zeitschrift selbst rezensieren darf (vgl. Kunst & Kultur Nr. 9 / Dez. 99 S. 48 - 51). Es ist auch der Chefredakteur Josef Singldinger, dem schon einmal bei der Besprechung einer Ausstellung die anthroposophischen Visionen durchgehen (Nr. 5 Juni/Juli/August 1999, S. 16). Es ist Rudolf Ungváry, der in Nr. 6 / September 1999 seine nationale Linguistik im Rückenmark verankert, und es ist das fast komplette Fehlen von deutlichen, öffentlichen Reaktionen auf die unerträglichen Äußerungen von Martin Walser am 11.10.98 in der Paulskirche.

Während der Hauptteil des Blattes sich um Zeitfragen, Organisationsdebatten und mehr oder minder interessante Ausstellungen, Neuerscheinungen und Konzerte kümmert, macht sich in ihren Schmuddelecken ein Gemisch aus versnobtem Antiintellektualismus, ästhetisierender Langeweile und abgeschmacktem Irrationalismus breit. - Die Spitzensportler im einzelnen. Josef Singldinger (als Autor nur im Inhaltsverzeichnis des Heftes kenntlich gemacht) überschreibt eine Ausstellung zu den Werken anthroposophischer bzw. anthroposophisch inspirierter Künstler bedenkenlos mit dem Titel "Visionen - Richtkräfte für das 21. Jahrhundert in Zürich". Nun unterliegt ja der irrationale und rassistische Kern der Anthroposophie glücklicherweise seit einigen Jahren einer kritischen Überprüfung, Singldinger ficht es nicht an. Zu Rudolf Steiner hat er profunde Dinge zu sagen: "Je mehr in einem Kunstwerk Denken und Fühlen spürbar werden, destro intensiver wird es auf die, die es betrachten, wirken. Rudolf Steiner forderte eine solche Differenziertheit auf allen Ebenen des menschlichen Ausdrucksvermögens, für das konkrete soziale Engagement ebenso wie für die Fähigkeit zum abstrakten Sicheinlassen auf die Dinge." Es wird diese Differenziertheit gewesen sein, die Rudolf Steiner zu sozial engagierten Aussagen wie der folgenden veranlasst hat: "Das Judentum als solches hat sich aber längst ausgelebt, hat keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens, und dass es sich dennoch erhalten hat, ist ein Fehler der Weltgeschichte." Auch die wissenschaftstheoretischen Erkenntnisse Steiners befriedigen Singldinger zutiefst. "Kunst und Wissenschaft sind eine Einheit. Und nur über diese Einheit kommt man zur Erkenntnis der Kunst und zur Wahrheit in der Wissenschaft. Steiner will keinen Separatismus von Denken und Fühlen. Alles beruhe auf dem Prinzip der Wechselwirkung." Es mögen diese tiefen wissenschaftlichen Einsichten gewesen sein, die Steiner behaupten liessen, Quecksilber heile Syphilis und Frauen müssten "Mulattenkinder" gebären, hätten sie als Schwangere "Negerromane" gelesen. Zu Emma Kunz, die mit den Anthroposophen in der besagten Ausstellung gemeinsam gezeigt wird, hat Singldinger zu vermerken: "Emma Kunz, die fast völlig Unbekannte, war Naturheilpraktikerin. (...) Das, was sie zeichnete, pendelte sie aus und kam - fast möchte man sagen: über eine Geisterhand geführt - zu höchst rätselhaften Bildern, die alle ohne Titel sind." (Nr. 5 Juni/Juli/August 1999, S. 16). Singldinger möchte man fast etwas ganz anderes sagen: danke. Danke dafür, dass er, wenn auch unfreiwillig, die enge Verwandtschaft zwischen der Anthroposophie und den zeitgenössischen esoterischen Bocksprüngen kenntlich macht.

Axel Matthes hingegen verarztet besonders gern Genies. Auch Goethe ist vor ihm nicht sicher. In Sentenzen, die an den Sprachgebrauch ambitionierter Gymnasialdirektoren um 1930 erinnern, gipfelt er er den Weimarer zu einem pseudoreligösen Phänomen auf, das jenseits aller Analyse und Kritik sein Wesen treibt. "Unfassbar. An Goethe wird der hochmütige Unsinn der Professoren und Literaten und ihrer Biografien und Essays deutlich: denn wenn man alles gelesen hätte und sich auskennte, was über ihn geschrieben und seine Werke, Briefe und Tagebücher, Bilder von ihm, Handschrift und Horoskop dazu - so wäre das innere Rundbild und ideale Gemälde von seiner persona doch nur ein schwacher Schatten, weggewischt in dem Augenblick, da wir ihn leibhaftig vor Augen hätten und hörten - in seiner unwägbaren und nie in Worte fassbaren Aura und Sprache." (Nr. 2 / März 1999, S. 13) Es bedarf schon einer nicht in Worte fassbaren Sprache, um den Titanen zu huldigen, und Axel Matthes beherrscht sie selbst angesichts des Leibhaftigen wie der Gottseibeiuns.

Rudolf Ungváry wiederum zieht es eher zur Biologie. In seinem Text "Friedhofsdenken fürs Gewissen" (Nr. 6 Sept. 99 / "anriss", S. 24) hat er sensationelle Einsichten in den Ursprung der Fremdenfeindlichkeit anzubieten: "Wer eine ungarische, serbische, albanische usw. Muttersprache hat, dem ist es vom Rückenmark her eindeutig, dass ein jeder auf die Assimilation des Anderen aus ist." Bis jetzt hat man das Rückenmark eher als Steuerungsorgan für die körperlichen Reflexe des Menschen gekannt, mit denen das Großhirn nicht belastet werden soll, Ungváry weiß es besser. Das Rückenmark seines xenophobischen Palavers selbst ist aber ein biologistischer Rassismus, der noch verschämt mit einer Null-Linguistik verkleidet wird, um nicht allzu nackt dazustehen. "Aber nur in der Muttersprache kann man richtig die Säuglinge und Geschlechtspartner liebkosen ..." "Kulturelles Erbe ist Information und Information ist Macht. Durch seinen Besitz behauptet man sich innerhalb einer Rasse, die von Kopf bis Fuß auf sprachlich erfasste Regelfolgen eingestellt ist." "In einer Fremdsprache ist die Macht weder richtig erreichbar, noch richtig geniessbar. Genauso, wie der Sexualakt oder die Geburtswehen nicht richtig in einer Fremdsprache ausgetragen werden können." Die Sprache, vorzugsweise die eigene, macht Ungváry zum Maßstab für Liebes- und Überlebensfähigkeit. So wird sie zu einem statischen Popanz ohne Einflüsse und Querbezüge zu anderen Sprachen, das goldene Kalb des Kulturnationalisten. Und auch er hat es mit jener analytisch unauslotbaren Tiefe, denen die besondere Aufmerksamkeit von Singldinger und Matthes gilt: "Ohne eine sprachliche Wohlgeformtheit entsteht nicht jene "Tiefe" des Textes, woraus das kulturelle Erbe - Grundlage jedlichen Verstehens - analytisch unfassbar, hervorsummt." Zuchtmeister der Sprachreinheit und Messingenieur der analytisch unfassbaren Tiefe wird er dann wohl selbst sein wollen. Gemessen an seinem eigenen Anspruch allerdings hat Ungvárys Text die Tiefe eines durchschnittlichen Kleinkinderbeckens im Freibad, und er raunt, summt und krakeelt mit seinen Geistesbrüdern schon so laut aus der irrationalen Ecke hervor, dass es schwierig wird, die Zeitungen zu lesen, in denen sie publizieren.

Was kommt als nächstes? Wird uns in der "Kunst & Kultur" bald Gabriele d'Annunzio empfohlen, weil er "frei von Vernunft" war? Müssen wir in der kulturpolitischen Zeitschrift der IG Medien lesen, dass Arno Breker das Ideal der modernen Plastik erreicht habe? Wird uns der Kosovo-Krieg als Stahlbad verkauft, durch das die Deutschen ihrer eigentlichen Bestimmung näher gekommen seien? Man könnte ja gespannt sein. Mir ist vorläufig allerdings nur schlecht.


Nachbemerkung: Nachdem Josef Singldinger durch einen neuen Chefredakteur abgelöst wurde (Burkhard Baltzer), hat sich einiges gebessert, die Zeitschrift ist wieder lesbar geworden.


© Marcus Hammerschmitt, 2000