"Give Love!"


konkret 4/2001


I

Man könnte sich ja wundern: Eine Ausstellung über afrikanische Befreiungsbewegungen in München? Im kalten deutschen Winter? In der Villa Stuck? Skepsis ist nicht ganz das richtige Wort. Ich hatte eher den Verriss schon in der Tasche, als ich in den Zug stieg.


II

München ist furchtbar in diesem Februar. Es zieht wie Hecht. Der niederträchtigste deutsche Großbahnhof erinnert mich an eine Episode vor zwei Jahren, als ich morgens um Sieben mit allen anderen im Wartesaal gefilzt wurde, einfach weil das jetzt dran war. Ein Italiener bestand leise und korrekt darauf, seinen Pass nicht zeigen zu müssen, und schon ging das Gebrüll los. Walkie-Talkie, Verstärkung, abführen. Auf meine Frage nach dem Grund gab es die klassische Polizistenantwort: "Da braucht's keinen Grund. Hier am Bahnhof bleibt immer was hängen." Das war mir hängengeblieben. In der dichtgedrängten Menschenmenge drei Besoffene, die einander untergehakt haben, damit sie nicht umfallen. An der Straßenbahnstrecke ein Spruchband an einem Restaurant: "Unser Koch Afrim darf nicht abgesschoben werden!" An einem Betonsöller steht: "Give love!" Erst mal können vor Lachen. Die schlechte Laune kriecht an mir hoch wie die Kälte. Ihr wollt die Revolutionen Afrikas per Ausstellung in einer ehemaligen Jugendstilvilla rekuperieren? Etwa wie die Pappnasen von der Deutschen Guggenheim Berlin, die seinerzeit russische Avantgardistinnen unter den Linden so ausstellten ("Amazonen der Avantgarde, 1999"), dass einem davon nur schlecht werden konnte? Euch werd ich was husten.


III

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Die Ausstellung heisst "Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika 1945 - 1994", aber sie empfängt einen nicht mit betulichen Kommentaren zu kalashnikowschwingenden schwitzenden Männnern in grünen Uniformen. Auch nicht mit den gewohnten Bildern sjambokschwingender Bullenschweine aus dem Südafrika der Apartheid. Das erste Gesicht, auf das man trifft, ist nicht das von Nelson Mandela. Surprise, surprise, die Ausstellung empfängt den Besucher mit Kunst. Und die handelsüblichen Referenzpunkte zur Wahrnehmung Afrikas, nämlich Gewalt, Elend, Unterdrückung und Widerstand entfallen vorerst. Jedenfalls sind sie nicht so vorhanden, wie man es gewohnt ist. Aber die Kunst, auch das wird schnell klar, ist hier keine gutgemeinte Alibiveranstaltung, um in der Villa Stuck auch mal was Afrikanisches zu hängen. Auf den ersten Metern zum Beispiel inszenieren Malangatana Ngwenya, Gebre Kristos Desta, Christian Lattier das Kreuz als Monument einer fortwährend unaufgelösten Qual, nämlich derer, denen es aufgezwungen wurde, und die es sich nicht mehr vom Leib abschaben können. Es gibt keine Erlösung hier. Freunde Albert Schweitzers werden ihre Probleme mit dieser Ikonographie haben. Die Namen dieser Künstler habe ich vor dem Besuch der Ausstellung nie gehört. Danach sind ihre Bilder schwer zu vergessen.


IV

Kenyatta. Lumumba. Mandela. FLN. MPLN. Frelimo. ANC und Mosambik. Angola. Südafrika. Sharpville. Algerien. Der Kongo. Es ist alles da. Medienberichte zu der Ausstellung tendieren dazu, ihren politischen Kern zu verdrängen, und den Vogel in dieser Hinsicht schiesst der Spiegel mit seinem Artikel "Neuer Blick auf Afrika" ab (8/2001, S. 177), der den Titel der Veranstaltung unterschlägt, um ihr Thema nicht preisgeben zu müssen. Selbst das Infofaltblatt an der Eintrittskasse der Villa Stuck ist in dieser Hinsicht eher schüchtern und legt den Schwerpunkt eindeutig auf den "rein künstlerischen" Aspekt. "Der Besucher ist Gast und Zeuge eines komplexen, multimedialen Archivs". Das stimmt, aber es hört sich ein bisschen so an, als könne sich derzeit der Kunstbeflissene in der Villa Stuck einen schönen Nachmittag bei den farbenfrohen und lebendigen Negern machen. Gewalt und Elend, Unterdrückung und Widerstand werden sehr wohl gezeigt. Wie sollte dem auch nicht so sein, es geht ja um Afrika. Aber sie werden dem Besucher nicht anhand von Zeitungsartikeln und Plakaten um die Ohren gehauen, sondern sie werden eingesenkt in das Gewebe aus Malerei, Alltagsphotographien, Videofilmen und Vitrinen mit zeitgenössischen Buchtiteln, aus dem diese Ausstellung besteht. Der Effekt ist paradox. Die ganze Verzweiflung, die unglaubliche Rohheit der Zustände ist weitaus stärker spürbar, als das bei einer planen Abschilderung von kolonialistischen Greueln und revolutionären Manifesten der Fall wäre.

Da ist zum Beispiel ein bewegender Film über Patrice Lumumba, dessen kurze Karriere in ebenso knappen wie verräterischen Aussagen von Zeitzeugen plastisch wird. (Wie sehr ähnelte doch Lumumba Malcolm X. Oder war es vielleicht eher andersherum?) Die Videokonsole steht in Sichtweite der Skulptur "Butcher Boys" von Jane Alexander, einer alptraumartigen Darstellung dreier weisser Männerkörper mit zugenähten Mündern und in die Schädel eingesenkten Tierhörnern. Franz Fanons Sohn erklärt in einem anderen Film, warum sich sein Vater mit den derzeitigen Zuständen in Algerien nie zufriedengegeben hätte. Das Tryptichon "Les Mains, Le Dos, les Pieds" von Touhami Ennadre, eine makroskopische Untersuchung gealteter und vielfach verwundeter und vernarbter dunkler Haut spiegelt das "South African Colouring Book 1974 - 1975" von Gavin Jantjes, das die völlig wahnsinnige Klassifizierungswut der einstigen südafrikanischen Rassengesetze denunziert, indem es sie einfach zitiert. Es gibt einen Dokumentarfilm über das Massaker von Sharpeville, packende "naive" Bilder von John Ndevasia Muafangejo, Erstausgaben von Amos Tutuola und Wole Soyinka, und eine Installation von Georges Adéagbo, die das groteske, unversöhnte Nebeinander schwarzer und weisser Traditionen im heutigen Afrika beleuchtet.

Es ist alles da. Und weil die Exponate nicht in das Korsett der Schulbuchhistorie und -geographie gezwängt werden, weil dem Besucher erlaubt wird, die Bezüge selbst herzustellen, gewinnen sie im Zusammenspiel eine außergewöhnliche emotionale Wucht. Der Hauptkurator der Ausstellung (Okwui Enwezor) ist selbst Afrikaner, genauso wie viele andere, die das Ereignis möglich gemacht haben, und das wirkt sich aus. Okwui Enwezor sagt, er habe die Kunstwerke nach einer "forensischen" Methode zusammengetragen. Das kann vieles bedeuten. Einerseits die enorme Arbeit, die es bedeutete, der Ausstellungsstücke überhaupt habhaft zu werden. Andererseits die Tatsache, dass in diesen Kunstwerken eine Kriminalgeschichte versteckt ist. Ich war einmal im "Musée des Collections Historiques de la Prefecture de Police" in Paris, und obwohl dort keine Kunst, sondern Guillotinenklingen, Uniformen und Waffen gezeigt wurden, war die Stimmung ähnlich.


V

Natürlich ist nicht alles da. So zum Beispiel fehlt jeder Ansatz einer übergreifenden Analyse der Voraussetzungen, Bedingungen und Konsequenzen des Kolonialismus. Wer nach der einen größeren Texttafel gleich am Eingang zur sogenannten Kongo-Konferenz in Berlin von 1884/85 auf ähnliche Texte im Verlauf der Ausstellung hofft, wird enttäuscht werden. Das ist wahrscheinlich kein Zufall, sondern eher ein Statement: Diese Ausstellung will kein Traktat sein, und sie tut gut daran.

Konsequenterweise fehlen auch zwei Fragen, die von einer eher didaktisch oder sozialarbeiterisch ausgerichteten Veranstaltung auf jeden Fall gestellt würden: die Fragen nach dem Warum und dem Wozu der antikolonialen Revolten in Afrika. Die Frage nach dem Warum ist ohnehin geklärt: Die Afrikaner hatten gar keine andere Wahl. Dass sie nicht erreicht haben, was sie wollten, ist ohnehin bekannt. Darüber nur zu reden, um ihr Anliegen zu delegetimieren, ist die Sache dieser Ausstellung nicht.

Was leider auch fehlt, ist eine Darstellung der Ausstrahlungen dieser Revolutionen in die Herkunftsländer der Kolonialisten. Wenn man sich vor Augen führt, was für eine Rolle der Protest gegen den Algerienkrieg bei der Katalyse der neuen Linken in Frankreich gespielt hat, oder wenn man sich die simple Tatsache vergegenwärtigt, dass die Black Panther eine eigene diplomatische Vertretung in Algerien hatten, die zum Beispiel eine der Stationen auf der Flucht Pete O' Neals vor den US-Behörden war, wird einem schnell klar, was eine solche Aufarbeitung der Konsequenzen in der ersten Welt erbringen könnte.

Ebenfalls knapp außerhalb der Reichweite der Ausstellung liegen die deutschen Verbrechen in Afrika. Immerhin haben von Trothas Truppen in "Deutsch-Südwest" gehaust wie die Berserker, aber als das "kurze Jahrhundert" der afrikanischen Befreiungsbewegungen anbrach, war das schon wieder Geschichte. Es ist gut, dass wenigstens im Beiprogramm der Film "Die Liebe zum Imperium: Deutschlands dunkle Vergangenheit in Afrika" von Peter Heller gezeigt wird. Andernfalls könnte man auf die Idee kommen, dass diese Ausstellung für Deutschland ein wenig zu bequem und erbaulich ist, weil sie nur über die Zeitspanne von 1949 - 1994 berichtet. Angesichts neuester deutscher Großmachtbestrebungen wäre doch eine eigene Ausstellung über den antikolonialen Befreiungskampf der Hereros, Nama und Ndonga von 1904 - 1908 und den Maji-Maji-Aufstand von 1905 bis 1907 in Tanganyika eine interessante Sache. Ob sich dafür ein Platz in der Villa Stuck fände?

Was nicht fehlt, ist ein exzellenter Katalog (leider nur in englisch), der an Hintergrundanalyse das nachholt, was die Ausstellung ausklammern muss, um zu funktionieren. Absolut lesenswert wiederum "An introduction" von O. Enwezor. Der Katalog ist zu teuer, aber das ist hierzulande alles, was mit Kunst zu tun hat. Als Fazit bleibt: Die Ausstellung ist gut so wie sie ist, und man sollte nicht mehr von ihr erwarten, als sie eigentlich leisten kann.


VI

Da die Ausstellung geht auch noch nach Berlin, Chicago und New York. Vielleicht können auch dort die Besucher eine Erfahrung machen, die ich in München gemacht habe: Ich bin zusammen mit einer der Museumswärterinnen eine Viertelstunde vor einem der Videoschirme gestanden und habe mir das Leben von Patrice Lumumba erklären lassen. Es war nur einer der außergewöhnlichen Momente beim Besuch in der Villa Stuck.

The Short Century, Unabhängigkeits- und Befreiungsbewegungen in Afrika 1945 - 1994, Museum Villa Stuck, München 14.2. - 22.4.2001



© Marcus Hammerschmitt, 2001

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