In vollem Wichs
Wenn Burschenschaftler in der Öffentlichkeit gut Wetter machen wollen, dann erwähnen sie meistens ihre "demokratischen Wurzeln". Dann wird ein Bild von diesen Vereinigungen gezeichnet, als seien sie republikanisches Urgestein, geradezu Hüter einer demokratischen Tradition in Deutschland und Garanten ihrer Fortentwicklung. Sie singen dann nicht nur "Der Mai ist gekommen" sondern auch "Die Gedanken sind frei". Obwohl das größere Publikum aufgrund ihrer absurden Mannbarkeitsriten, ihres rückwärtsgewandten Traditionalismus und antidemokratischen Elitarismus ein gesundes Mißtrauen gegenüber den Burschenschaften hegt, sind ihm doch die konkreten Wurzeln dieser studentischen Trachtenvereine unbekannt. Peter Hacks hat einen schönen Text geschrieben, der darüber aufklärt.Ich habe die Romantik eine proslavery rebellion genannt, aber das betrifft nur ihre Öffentlichkeitsarbeit. In der Hauptsache war sie eine proslavery conspiration. Federführend unter den Geheimbünden war, seit die Könige den Kaiser vertrieben hatten, der Deutsche Bund geworden. Jahn hatte ihn 1810 gegründet und anschließend, gemeinsam mit Fichte, zwei legale Gliederungen ins Leben gerufen: die Turner (die sich 1811 in der südöstlich von Berlin gelegenen Hasenheide zusammenrotteten) und die Burschenschaften (deren Verfassung Jahn und Fichte 1812 sich ausdachten, und deren Aufstellung 1815 in Jena erfolgte, wo eine Gruppe von schrecklichen Professoren und Zeitschriftenherausgebern sich zur Verfügung hielt. Ihre Namen sind Luden, Oken und Fries). 1814 hatte Jahn, wehenden Bartes, den Staffelstab von Fichte übernommen. Im Jahre 1817 nun schien es Jahn richtig, Masse zu zeigen und vermöge ihres Eindrucks in die Verfassungserörterungen einzugreifen, und er lud, über die Jenaer Burschenschaft, alle Deutsch-Jünger (die in der Regel beiden Gliederungen angehörten und dann Burschenturner hießen) in die Stadt Eisenach hinein. Den Vorwand für diese Massenerhebung an Reck und Barren lieferte die dreihundertste Wiederkehr des Reformationstages. Luther hatte seine Thesen am 31. Oktober 1517 angeschlagen; das Wartburgfest freilich fand am 17. und 18. Oktober 1817 statt. Warum verschob man Luthers Tat rückwirkend um einen halben Monat? Deshalb. Weil vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 die Schlacht bei Leipzig gewonnen worden war. In Wirklichkeit beging man nicht den dreihundertjährigen Sieg über den Papst, sondern feierte den vieijährigen Sieg über Napoleon. Wenn der zwar kürzer her war, war er doch wichtiger. Mich als treuen Chronisten der Romantik beruhigt, daß es mit der Ehrung Luthers nicht der volle Ernst war. Bevor ich Sie bitte, mit mir den Wartenberg zu besteigen, noch eine Vorausbemerkung. Ein Leser des Jahres 1988 könnte dem Mißverständnis erliegen, die Turnbewegung habe irgendwas mit Fragen der Gesundheit zu schaffen. Ich weiß nicht, ob dieselbe Gefahr für einen Leser des Jahres 1990 noch bestehen wird. Wir halten in einem Jahr, in weichem die Dauerlauf-Idiotie eben von der Menschheit abgefallen ist, worin aber die Lebensregel, Frischluft, Sonne und Bewegung seien dem menschlichen Leib gedeihlich, noch gilt - so wie sie seit Beginn unserer Rasse abwechselnd gegolten oder nicht gegolten hat. Sie ist in der längsten aller Versuchsreihen, der Menschheitsgeschichte, als richtig weder erwiesen noch erprobt. Viele Sportler sterben vor der Zeit, während Leute, die sehr lange im Gefängnis stillhalten, oft sehr lange leben. Ich sage gar nicht, daß die Turnerei ungesund sei. Körperübungen und Gesundheit stehen in überhaupt keinem Zusammenhang, und erst recht nicht lassen das Aufreißen eines Schillerkragens oder das Anpflanzen eines englischen Gartens vernünftigerweise als Heilmittel sich betrachten. Gerade Entscheidungen, die vom Fach her keine Gründe haben, eignen sich, gesellschaftlich besetzt zu werden und Welthaltungen auszudrücken, und jene Behauptungen, die da im Sackkleid des Gesundbetertums uns entgegentreten, sind in Wahrheit politische Moden: Aussagen nämlich über die Mißbilligung der künstlichen und Bevorzugung einer, was das immer sei, natürlichen Umwelt. Die Turner, sagt Engels, wollten "die Nation ins deutsche Mittelalter oder gar in die Reinheit des Urdeutschtums aus dem Teutoburger Walde zurückdrängen". Über Jahn mag ich nicht breit werden. Es gibt kaum eine geschichtliche Gestalt, an der alles abstößt. Irgendeinen menschlichen Zug hat ja sonst jeder, nur eben Jahn nicht. Wer so denkt wie Jahn, muß nicht auch noch sprechen wie Jahn, wer so spricht, muß sich nicht auch noch so aufführen, wer sich so aufführt, muß nicht auch noch so aussehn. Auch ein Wohlwollender wird zugeben, daß der Mann übertreibt. In seinen "Runenblättern" forderte er ein "heiliges deutsches Kaiserreich", welches nicht nur Österreich, sondern auch die Niederlande, die Schweiz und Dänemark umfassen und gegen "sprach- und stammfremde Wälsche und Wenden" sich abgrenzen sollte; so sehr deutsch fühlte er einmal, noch um ein paar Eroberungen deutscher als der Reichsfreiherr. Ich selbst habe keine Abneigung gegen die Deutschen. Ich ziehe sie, vielleicht stärker, als ich sollte, den meisten Völkern vor. Aber Jahn ist der Vertreter des (Gervinus) "Alt- und Starkdeutschtums", wie es schwitzt und pisst, und alle nationalistischen Scheusale nach ihm ähneln ihm ein wenig. Sogar Arminius und Sigimer, Jules Vernes häßliche Stahlstadt-Deutsche, sind von Benett nach seinem Bilde gezeichnet. Er geht durch das Rüpelspiel unseres vaterländischen Grobianismus, als wäre er der Ewige Arier persönlich. Seiner Einladung also waren die Sturmabteilungen vieler Universitäten gefolgt; das Wartburgfest nahm seinen Gang. Auf seinen Höhepunkt komme ich noch gesondert zu sprechen. Die beiden Herbsttage verliefen in dem üblichen glanzlosen Durcheinander; Jugendliche sind ja schon zufrieden, wenn ihrer nur recht viele an einem Platz beisammen sind. Die Burschen hielten Reden und beteten und sangen, und sie führten den verdutzten Eisenachern den "Ziehkampf am langen Ziehtau" vor. Vermerkt werden kann, daß die Reden, Gebete und Gesänge in folgenden Inhalten übereinstimmten. Man glaubte an die Offenbarungen des Christentums und der Turnerei. Man fraß Franzosen und schlug Juden tot. Man fühlte großdeutsch und altdeutsch, d. i. fürstenfeindlich und nach Art der Sippen. Eine einzige Gruppe bot leichte Abweichungen, das waren die Gießener "Schwarzen" unter Karl Follen. Auch Follen turnte, focht, erschlug Juden und las Fichte und die Mystiker, aber er trieb die Ver- werfung der Autorität bis zu republikanischen und naturrechtlichen Gedankengängen. Ob ein Rotbrigadist äußerst progressiv oder äußerst reaktionär sei, das ist so eine alte Preisfrage; mit dem Äußersten jedenfalls hielt er es. Nehmen Sie Fichtes Gehirn und Jahns Bizeps, dann haben Sie den Follen. Seine "Unbedingtheits"- Lehre hatte Jesus Christus und den Cherusker Hermann zu Vorbildern, falls Sie hieraus etwas zu entnehmen wünschen.
Aus: Peter Hacks, Ascher gegen Jahn - ein Freiheitskrieg, Aufbau-Verlag 1991, S. 45 - 49
Lesenswert in dieser Hinsicht ist auch Friedrich Ludwig Jahns Schrift "Deutsches Volksthum".
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