Hölderlin forever


Eine deutsche Liebe, die nimmer endet

Es gibt viele Beispiele, aber nehmen wir doch dieses: Friedrich Hölderlin - Dichter sein. Unbedingt! (arte, 2020). Diese "Dokumentation" ist ein nur allzu deutlicher Hinweis darauf, dass der peinliche Geniekult um Hölderlin nicht totzukriegen ist. Die läppischen Reinszenierungen, in denen ein Schauspieler verwundeten Augs durch das moderne Frankfurt stolpert, sind ein erstes Warnzeichen. Aber mei, Showbiz halt. Schwerwiegender ist anderes. Es kommen zwar durchaus wichtige Hinweise, zum Beispiel der, dass sich alle an Hölderlin „bedient haben, die Rechten, die Linken, die Mittleren“. Aber wie das vor sich ging, will man dann lieber nicht wissen, weil es zu der unangenehmen Vermutung führen könnte, dass der größte Lyriker deutscher Sprache ein politischer Blasenkopf war. Und es würde die beständige Behauptung beschädigen, dass es sich bei Hölderlin um einen hartnäckigen Kryptorevolutionär handelte, der irgendwie unfair gescheitert ist. (An einer Stelle darf der besagte Schauspieler allen Ernstes „Keine Macht für niemand“ auf eine Tafel schreiben.) Ein Mythos, der seinerzeit so geschickt von Hermlin und Bertaux in die Welt gesetzt wurde. Man diskutiert in typischer Art nicht, was man selbst vage ahnt, sondern reproduziert unkritisch die Stilisierung des unmäßig Begnadeten, der sich von der kalten Mechanik der wirklichen Welt abgestoßen fühlt und stattdessen eine ursprüngliche, natürliche Einheit von Mensch und Natur imaginiert. Oder ein antikes Griechenland, an dessen Idealgestalt jede Gegenwart zerbrechen musste. Solche Konstrukte als eine vergiftete Wurzel der ewigen deutschen Romantik zu begreifen, das kommt nicht in Frage. Aber die Politik als tragisches Spiel der Götter, als Oper von Größe, Schönheit und Schicksal, das ist nun einmal das Hobby von manchen Genies, die mit der Realität nichts zu tun haben wollen. Dass Hölderlin an politischen Zuständen litt, dass ihm nichtendenwollende Fürstenherrschaft und früher Kapitalismus in Deutschland zu schaffen machten, wer will das leugnen? Aber es ist genau die Heftigkeit und Unbestimmtheit des poetisierten narzisstischen Affekts, die seine Lyrik für alle Arten von politischem Selbstmitleid so anschlussfähig macht. Das ist der Grund, weswegen sie auch im Jahr 3000 noch aktuell sein wird, wie man in der Doku hören kann – unter 1000 Jahren machen es die Deutschen bekanntlich nicht. Wo Hölderlin sich selbst hinstellte, scheiterte er vielleicht nicht fair, aber absolut vorhersehbar. An einer Stelle heißt es, dass er in seiner nachrevolutionären Phase als „Lehrer des Volkes“ auftreten wollte. Mag sein, aber leider zog er es vor, über das Volk nicht ihm Detail belehrt zu werden, das er ständig an den hohen und höchsten Idealen maß. Aus Hölderlin wäre nie ein Robespierre geworden – immerhin ein denkbarer Weg zum Beispiel für einen Büchner. Am anderen Ende des Spektrums seiner ästhetisierenden Politik hat er aber eine hochpoetische Sprache für den eigenen Größenwahn und für den der Deutschen zugleich gefunden. Diese unleugbare Tatsache nicht zu diskutieren, Hölderlin stattdessen auf seine künstlerische Leistung und sein tragisches, individuelles Scheitern zu reduzieren, ist ein bekannter Fehler. Die Begeisterung für fremdes Scheitern bei Leuten, denen ernsthaftes Scheitern nie gedroht hat, kann hier nur am Rande erwähnt werden. Irgendwann wird Deutschland was anderes zu Hölderlin einfallen. Vielleicht dauert es aber noch tausend Jahre.

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Anmerkung: Ein Kritiker hat gemeint, dass die "Hölderlinsche Geschichtsmetaphorik" doch schon etwas komplizierter sei als in diesem kurzen Text von mir dargestellt. Darauf hatte ich zu erwidern:

Alle Blasen der Blasenköpfigkeit Hölderlins in einem Kurztext zu verhandeln, der nicht einmal eine Interpretation, sondern eine Polemik ist, übersteigt meine Kräfte deutlich. Ich überlasse das der akademischen Hölderlin-Forschung, in der Hoffnung, dass sie heutzutage nicht ausschließlich von Blasenköpfen betrieben wird. Und um Missverständnisse zu vermeiden: Ich meine das ernst, wenn ich Hölderlin den größten Lyriker deutscher Sprache nenne. Seine künstlerischen Fähigkeiten und sein künstlerischer Mut sind über jeden Zweifel erhaben. Aber er war ein Bli-Bla-Bubber-Blasenkopf.