Die Sprachreiniger
[Anmerkung: Dieser Text ist zuerst am 03.10.2004 im Online-Magazin Telepolis erschienen.]
Der Kampf um die Reinheit der deutschen Sprache ist mindestens so alt wie der Duden. Aber das Getöse um das Thema ist derzeit wieder einmal besonders laut.
Es scheint irgendwie zu Deutschland zu gehören, dass immer den jeweils nebensächlichsten Themen die größte Aufmerksamkeit eingeräumt wird. Man könnte sogar auf den Gedanken kommen, dass das Methode hat, wenn man sich die jüngeren Debatten um die Rechtschreibreform ansieht, bei denen gekämpft wurde, als handele es sich mindestens um die Einführung einer neuen Verfassung.
Eine "Denkschrift" des Dichters Reiner Kunze zum Thema mit dem Namen "Die Aura der Wörter" wurde neulich in der FAZ mit dem Hinweis beworben, es gehe ja immerhin um ein "Jahrhundertverbrechen" an der deutschen Sprache. Jetzt könnte man diesen ganzen Quatsch problemlos an sich vorbeiziehen lassen, wenn die hysterischen Sprach- und Schriftreiniger nicht auch auf ganz anderen Gebieten wieder verstärkt für Remmidemmi sorgen würden. Ein übler Feind bedroht uns: das Englische, vor allem in seiner amerikanischen Variante.
Mangelndes Selbstbewusstsein der Deutschen?
Überall macht es sich breit, sorgt mit seiner verderblichen Kulturlosigkeit für ein Verkommen der deutschen Sprache, infiziert die naiven, ahnungslosen Deutschen wie ein tückischer Virus, um Besitz von ihnen zu ergreifen und sie "Denglisch" lallen zu lassen, ein Kauderwelsch, das von deutscher Kulturkraft und -pracht nichts, aber auch gar nichts mehr an sich hat. So wird das (noch) nicht oft gesagt, jedenfalls in den Medien, aber wenn man in Privatgesprächen die Ohren offen hält, kommt man um den Verdacht nicht herum, dass so verstanden wird, was in den Medien tatsächlich auftaucht. Zum Beispiel die immergleichen Artikel über beknackte Werbesprüche ("Come in and find out", "Powered by emotion" usw.) oder Glossen zu dem lachhaften Affentheater um die "University of Munich" - bei denen den Autoren leider auch wieder nichts einfällt als Schülerzeitungstraktate, die "Philologenverband" mit "Philologentape" und "sowieso" mit "so we so" übersetzen.
Das ist einmal milde komisch und halbwegs treffend, beim dritten Mal hat es sich mit dem Spaß, und spätestens beim zehnten Mal fragt man sich, was das alles eigentlich bezwecken soll. Gut, Feuilleton muss nichts bezwecken, es ist dazu da, nichts zu bezwecken, aber gleichzeitig drückt es auch Zeitstimmungen aus, und wenn ich mich nicht irre, geht es bei der Zeitstimmung, die dieses Feuilleton bedient, um eine zeitgemäße Form der Deutschtümelei. Kluge Leute, mit denen ich über das Thema rede, fangen mit den lauen Witzen an, die sie aus den Kulturseiten der klugen Zeitungen gefischt haben - es sind immer dieselben Witze, sie kommen immer zu einem vorhersagbaren Zeitpunkt - und landen nach drei Sätzen beim mangelnden Selbstbewusstsein des Deutschen, das sich in seiner Anbiederung an das Englische ausdrücke. Man gebe ohne Not "Terrain" verloren, es handele sich um schändliche Modeerscheinungen, die gleichwohl irreparablen Schaden zu verursachen in der Lage seien, all das sei nur ein weiterer Beweis für den Verlust der Sprachfähigkeit einer ganzen Generation.
Und dann ist sie wieder da, die tief empfundene Sorge um die deutsche Kultur, um ihre Größe und vor allem ihre Identität. Die Verfallstheorien sind da, nach denen das Abendland mal wieder am Untergehen ist (jetzt aber wirklich) und die dringlichen Warnungen vor dem Chaos. Offenbar sind wir Zeugen eines weiteren Jahrhundertverbrechens an unserer Sprache.
Wenn das so weitergeht, müssen der Philologenverband, die Unwortspezialisten oder die Sprachwarte von der Gesellschaft für deutsche Sprache noch eine Stichwahl abhalten über das größte Jahrhundertverbrechen aller Zeiten, das über die deutsche Sprache je hereingebrochen ist. Große Aufregung, viel Feuilleton.
Untergang der deutschen Sprache? Pillepalle
Die Sprachreiniger verweisen natürlich zu Recht auf lächerliche Anglizismen, die ohne jeden Grund benutzt werden, um einem Produkt, einer Haltung, einer Aussage Weltläufigkeit zu vermitteln, dabei zu sein, eine inhaltliche Schwäche durch Geschwätz zu kaschieren. Es gibt keinen Grund, die Universität München, ob fusioniert oder nicht, "University of Munich" zu nennen. Was im IT-Sektor an Gerede abgesondert wird, grenzt in seiner meschuggenen Art schon an Selbstparodie:
Erstmals wird in diesem Jahr der Open Source Best Practice Award verliehen, mit dem vorbildliche Case Studies und Success Stories zum Einsatz von Open Source Software ausgezeichnet werden.
Sätze wie dieser sind tatsächlich nur noch dysfunktionales Szene-Blabla, das hauptsächlich den geistigen Notstand seiner Verfasser zum Ausdruck bringt. Und natürlich gibt es fragwürdige Aspekte der Rechtschreibreform, genau so wie mit Idiotenapostroph und -leerzeichen manchmal lustige Sachen gemacht werden. Aber all das Getöse! Was muss das für ein schwaches Selbstbewusstsein sein, das gegen so einen Firlefanz mit Reinheitsgeboten angehen will, was für eine kümmerliche und schwache Identität muss sich gegen solche Nichtigkeiten mit dem Dünkel eines eingebildeten Kulturauftrags panzern? Untergang der deutschen Sprache? Pillepalle.
Wie wär's mit ein wenig Gelassenheit? Bei gelassener Betrachtung könnten auch ein paar Einsichten reifen, so zum Beispiel die, dass eine Annäherung des Deutschen und des Englischen aus verschiedenen Gründen unvermeidlich ist. Erstens sind die beiden Sprachen einander sehr nah. Einer meiner Lehrer pflegte zu sagen, es handele sich dabei ohnehin nur um zwei Dialekte einer Sprache - das ist zwar ein Irrtum, macht aber viel mehr Sinn als die Hysterie der Sprachreiniger. Zweitens ist Englisch die Weltsprache, und Deutsch eben nicht. Eine simple Anerkennung dieser Tatsache wäre schon viel wert. Der nächste Schritt wäre dann die Einsicht, dass ein versuchter Ausschluss der Weltsprache aus unserer Landessprache einen Ausschluss von Welt bedeutet. Aber das ist natürlich schwer zu begreifen für nationale Vollholzköpfe, Federfuchser und andere Deutschlehrer, die im Gebrauch des Adjektivs "cool" eine Bedrohung ihrer Nachtruhe sehen. Es ist dieselbe Haltung, die sich mit einem immensen Furor gegen Fremdwörter richtet; und wie bei dem Kampf der Gartenfreunde gegen Xenophyten, die unsere lieblichen Auen und Fluren verschandeln, ist es eine Haltung der Angst.
Vorteile an Schlagfertigkeit
Jetzt kann man sich natürlich auch gegen unvermeidliche Entwicklungen stemmen, wenn sie etwas grundsätzlich Schlechtes darstellen. Das kann ich hier nicht sehen. Das Englische hat Vorteile an Schlagfertigkeit, Prägnanz und Kürze, die oft genug vom Deutschen nicht einholbar sind. Auch manche Lehnübersetzungen, die aus dem Englischen in die deutsche Sprache eingewandert sind, will ich nicht mehr missen. Dass etwas Sinn machen muss und nicht per se hat, ist für mich eine angenehme Erinnerung daran, dass Sinn immer das Ergebnis einer bewussten Anstrengung ist oder in einem Kontext entsteht und den Sachen, Aussagen, Handlungen und Haltungen nie von sich aus zufällt. Begriffe wie "Echtzeit" haben ein poetisches Potenzial, das ohne sie fehlen würde. Das Englische kapert das Deutsche auch deswegen so leicht, weil es Lücken ausfüllt, die wie für es gemacht sind. Ich finde diesen Piraten in vielen Fällen sehr sympathisch.
Was die Reinheit angeht, so kann sie mich am Arsch lecken. Reinheit bedeutet immer Stasis, Inzucht, Starre, und das gilt ganz besonders für Sprachen, die sofort in Schreckstarre verfallen, wenn man versucht, sie per Dekret rein zu halten: Sprachen sind nicht rein, sie sind auf vielen verschiedenen Ebenen Gemische, und sprachliche Kreativität ist immer auch eine Feier dieses Gemischcharakters. Wo die Bastarde sind, die Fremdeinflüsse, da ist die Bewegung. Da will ich hin. Ich will mit der Beeinflussung des Deutschen durch das Englische spielen, ich will sehen, was für Farben sich ergeben, wenn man diese beiden mischt. Vielleicht ein Beispiel aus meiner eigenen poetischen Praxis. In zweien meiner Gedichte tauchen englische Sätze auf, die genau da stehen sollen, wo sie sind. Als ich vor einiger Zeit diese Gedichte ins Englische übersetzte, ergab sich das interessante Problem, die englischen Bestandteile ins Deutsche rückzuübersetzen, und genau die seltsamen Schwierigkeiten, in die ich dabei geriet, brachten das Ineinander von Nähe und Fremdheit der beiden Sprachen an einem, kleinen heißen Punkt zum Flimmern. Mehrere meiner Bücher tragen englische Titel, das hat in jedem Fall einen Grund, und zwar von Fall zu Fall einen anderen.
Lebendige Ränder der Sprache
Aber natürlich vermische ich noch viel zu wenig, halte ich mich zu selten an den Rändern meiner Sprache zu anderen Sprachen auf. Dass nur eine meiner Erzählungen mit dem Französischen spielt (interessanterweise eine von zweien, die bisher ins Französische übersetzt wurden), erklärt sich zwar leicht daraus, dass mein Französisch deutlich schlechter ist als mein Englisch, aber es ist trotzdem ein echter Mangel. Wenn ich mich an diesen Rändern aufhalte oder an all den anderen, die es auch gibt, zum Beispiel an denen zum Slang, zur Sprache der Technik, zum Gesang oder zum bloßen Geräusch, dann fühle ich mich sofort freier. Es ist vielleicht ein wenig wie Schwimmen: Das Wasser selbst stammt aus vielen Quellen, und nichts wäre gleichgültiger als die Nationalität oder die Identität des Schwimmers. Da ist so viel möglich: Man kann toter Mann spielen und sich treiben lassen, oder man kann versuchen, den Ärmelkanal zu durchqueren. Freiheit eben. Die Wirtschaft schießt sich mit blöden Werbe-Anglizismen selbst ins Bein?
Nichts interessiert mich weniger als der Umsatz irgendwelcher Parfümerieketten. Aber die schlimme Mode, der Herdentrieb, das blöde Nachäffen? Als gäb's das nicht auch auf Deutsch, als ließe sich daran etwas ändern, indem man voraussetzt, dass die Leithammel aus Deutschland zu kommen haben. Der Gebrauch englischer Floskeln bedroht die "Individualität" des Autors? Sprache ist nichts Individuelles, sondern in ihr, die etwas durch und durch Überindividuelles ist, findet Individualität statt, und es kommt alles darauf an, wie das Individuum mit diesem Widerspruch umgeht.
Noch dümmer als die Idee von der Reinheit der Sprache ist ja die vom Genie, das sich seine eigene Sprache rein aus sich selbst schafft, frei von allen äußeren Einflüssen. Und in welcher Tarnung die Ideen von der Reinheit und dem Genie auch daherkommen, sie sind immer reaktionär, genau wie der ganze Kampf gegen Anglizismen, Fremdwörter, linguistische oder biologische Xenophyten. Wer an Sprache, dem Wesen von Sprache interessiert ist, wird das wissen, und er wird das Spiel mit dem Ähnlichen und dem Fremden der kleingeistigen Deutschtümelei immer vorziehen.
© Marcus Hammerschmitt, 2004-2025