Die ungleichen Zwillinge
[Anmerkung: Dieser Text ist zuerst am 25.11.2005 im Online-Magazin Telepolis erschienen. ]
Ist der Islamismus eine Abart des Faschismus?
Die Hilflosigkeit des Westens im Umgang mit dem Islamismus drückt sich in moralischen, rassistischen und ökonomistischen Zuschreibungen aus: Man begreift den Islamismus als eine Wiederkehr des Hasses, den die Menschheit schon immer mit sich herumgetragen hat, als die Neigung "der da unten" zu Aggressivität und Fanatismus oder als eine Reaktion auf Verarmung und Elend in der 3. Welt. Die Schwächen dieser Ansätze sind offensichtlich. Was ist aber von der Behauptung zu halten, der Islamismus sei eine Spielart des Faschismus?
Der Gemeinsamkeiten sind ja viele. Alle islamistischen Bewegungen und Staaten sind ausnahmslos antisemitisch. Wenn man von einer Klammer für diese Bewegung seit den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts sprechen will, dann ist es diese. Die Frauenfeindlichkeit des Islamismus liegt auf der Hand, man könnte sie als sein zweites Markenzeichen begreifen. Der Aufbau islamistischer Staaten ist pyramidal, Führer- und Erlöserkult sind allgegenwärtig, Phantasien vom kommenden Endkampf der Gerechten, Edlen und Wertvollen gegen den Abschaum ebenso. Von der Militanz des Islamismus müssen wohl nur noch wenige überzeugt werden. Wie der Faschismus bedient sich der Islamismus manchmal einer antiimperialistischen Rhetorik, die die eigenen imperialen Zielsetzungen verschleiern soll. Die historischen Verbindungen zwischen Faschismus und Islamismus sind stark.
Dhimmis und Schutzjuden
Beide Bewegungen sind als "antimodern" bezeichnet worden. In der Dhimma-Praxis des Islam lassen sich durchaus Elemente einer protofaschistischen Konstellation erkennen: Die Schaffung einer zwar physisch gerade noch so tolerierten, aber grundsätzlich unter der muslimischen Gemeinde stehenden Gruppe von Menschen, die im Konfliktfall recht- und wehrlos ist, erinnert an Begriff und Praxis des Schutzjudentums in Europa.
Dhimmis und Schutzjuden waren dabei oft wenig mehr als in Reserve gehaltene Objekte rassistischen Furors, die solange beschützt wurden, wie es aus ökonomischen Gründen opportun schien. Noch das ärmste und elendste Mitglied der Normalgesellschaft konnte die Nase höher tragen als die Geduldeten, und das Pogrom zur Abfuhr sozialer Spannungen in der Normalgesellschaft blieb immer eine realistische Möglichkeit. Auch hier also eine beängstigende Nähe.
Warten auf eine Avantgarde?
Aber was wie eine Ente quakt, watschelt und im Trüben gründelt, ist das auch immer eine Ente? Die Schwierigkeiten beginnen ja schon damit, dass man sich fragen muss, welcher Islamismus mit welchem Faschismus denn eigentlich verglichen werden soll. Sind die verschiedenen islamistischen Bewegungen und Regime tatsächlich an den oben erwähnten Merkmalen zu erkennen? Sind sie alle einander so ähnlich, dass ihnen der Oberbegriff gerecht wird? Abgesehen davon, dass das saudische Königshaus die Taliban unterstützt haben soll - wie einig sind sich beide in der Programmatik und den politischen Zielen? Will Abu Sayyaf mehr oder weniger dasselbe wie die Hizbollah? Wie nahe stehen sich Abu Musab az-Zarqawi und tschetschenische Islamisten?
Zu diesen Fragen hört man bemerkenswert wenig in den westliche Medien, und auch die Islamisten selber scheinen bemüht, an der Oberfläche die Einigkeit aufrecht zu erhalten, gerade so, als sei ihnen das Bild einer islamistischen Internationale eben recht. Aber ist nicht gerade das wiederum eine Analogie zum Faschismus, dessen Zeit in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts "einfach gekommen" war und der in x verschiedenen Ausprägungen hauptsächlich in Europa, aber auch sonstwo in der Welt seine Schreckensregime errichtete? Wartet die islamistische Internationale nur noch auf eine Avantgarde (in dem Sinn, in dem man den Nationalsozialismus als Avantgarde des Faschismus begreifen kann), der sie in den Endkampf gegen alles führt, was sie an der Welt stört?
Unterschiedliche Hass-Triebwerke
Denkbar. Aber sprechen wir doch einmal von den Dingen, die den Vergleich zwischen Faschismus und Islamismus so unangenehm schillern lassen. Wenn man den Nationalsozialismus als Avantgarde des Faschismus begreift, dann lässt sich feststellen, dass der Faschismus in seiner reinsten Ausprägung eine ausgesprochen biologistisch ausgerichtete Bewegung war. Die Idee von der Rassenreinheit, von der Rettung des Erbguts u.ä. erforderte auch einen öffentlichen Diskurs über die politisch korrekte Sexualität, die sich positiv in der Schamhaarmalerei, der Kunst Arno Brekers und ähnlichen Dingen, negativ aber in pausenloser Propaganda zur Minderwertigkeit "nichtarischer Rassen", ihrem ungezügelten Sexualtrieb, der allgemeinen genetischen "Schmutzigkeit" der Anderen äußerte.
Die Sexualität ist aber im Islamismus so unterdrückt, dass ein öffentlicher Diskurs über sie gar nicht stattfinden kann. Dementsprechend wird in seinen radikalsten Ausprägungen (wie bei den Taliban) die Rolle der Frau gar nicht öffentlich definiert, sondern Frauen werden stillschweigend zum Verschwinden gebracht. Homosexualität ist nur insofern ein Thema, als es die Betroffenen unmittelbar in Lebensgefahr bringt.
Im Gegenzug verzichtet der Islamismus auf herkömmlichen Rassismus. Der Gruppennarzissmus, der in biologistischen Rassismus umgemünzt werden könnte, wird zum größten Teil durch den Antisemitismus aufgesaugt (bei Bedarf und mit Abstrichen auch durch die Feindschaft gegen andere Ungläubige), aber das wird nicht, wie im Faschismus, genetisch begründet, sondern damit, dass das Judentum die falscheste aller falschen Religionen sei. Ich will nicht leugnen, dass biologistische Muster über die stabile politische Verbindung zwischen Faschismus und Islamismus in die islamische Welt eingedrungen sind (oder dort schon immer vorhanden waren), aber die Akzentuierung des Hasses, der Beat, wenn man so will, ist ein anderer. Wenn der Islamismus ein Faschismus ist, dann ist er kein genetisch-biologistischer, sondern ein moralisch-religiöser.
Tausend Jahre gegen die Ewigkeit
Es ist doch zu seltsam, dass die platte Identifizierung von Faschismus und Islamismus genau diesen Unterschied übersieht. Dabei fällt unmittelbar auf, dass der Islamismus noch am ehesten faschistischen Bewegungen ähnelt, die einen starken religiösen Bezug hatten oder haben, wie zum Beispiel die katholischen Ustascha-Fachisten in Kroatien oder die Zen-Militaristen in Japan während des zweiten Weltkriegs.
Es bleibt aber unübersehbar, dass diese direkte Amalgamierung von Religion und Faschismus die Ausnahme blieb, und zwar deswegen, weil der Faschismus und der religiöse Fundamentalismus aufgrund subtiler ideologischer Unterschiede untergründig selbst dann miteinander konkurrieren, wenn sie politische Bündnisse eingehen. Der Faschismus rechnet mit tausend Jahren, der Fundamentalismus setzt auf die Ewigkeit in beiden Richtungen. Das bewaffnete religiöse Spießertum reklamiert für sich das ältere Argument und hegt gegenüber den faschistischen Nachzüglern, die sich um Dinge wie Parteien und politische Strategien kümmern, eine gewisse Verachtung.
Zwar hat sich zum Beispiel der Nationalsozialismus bemüht, künstlich religiöse Riten und Strukturen zu schaffen, auch sind okkultistisch-religiöse Selbstpositionierungen des Nationalsozialismus nicht zu unterschätzen, aber gegenüber dem modernen religiösen Fundamentalismus wirkt das alles eher laienhaft. Und der unmittelbare Umschlag des Faschismus in eine Religion wurde sowohl in Deutschland als auch in Italien von einem Modernitätsanspruch verhindert, den der religiöse Fundamentalismus zwar aufrechterhalten kann, aber nur um den Preis größter ideologischer Verrenkungen und interner Schismen.
Die gute und die schlechte Nachricht
Es stimmt, beide kämpfen mit modernen Mitteln gegen die Moderne, aber wiederum sind die Attitüden unterschieden. Die einen sagen, dass das Volk und der Kaiser, der ihm als Identifikationsfigur dient, alles sind, die anderen möchten dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, vertrauen aber letztendlich auf die ewige Rache des jeweiligen spirituellen Konstrukts, das sie anbeten - es soll von allen politischen Bedingungen völlig unabhängig sein, für immer. Faschismus und religiöser Fundamentalismus sind Verschiebungsideologien, die soziale Konflikte in verlogenen Neukonfigurationen der Gesellschaft aufheben: hier in der Volks-, dort in der Religionsgemeinschaft. Aber sie singen dabei notwendigerweise unterschiedliche Lieder.
Die gute Nachricht ist, dass zwischen beiden Spielarten des Schreckens Unterschiede und Bruchlinien bestehen, die Bündnisse zumindest erschweren. Die schlechte Nachricht lautet: Wer einer religiösen Pflicht dient, die Welt von den Ungläubigen zu säubern, mag den Tod noch mehr lieben als der säkulare Faschist, der an einem besseren Jenseits gewisse Restzweifel hegt und hie und da schon aus Eigeninteresse zum Nachgeben bereit ist. Es ist kein Zufall, dass die kroatischen Faschisten in Berichten des deutschen SD an Himmler als Sadisten bezeichnet wurden, weil sie zu brutal gegen ihre Opfer vorgingen.
Die irritierende Übereinstimmung zwischen den palästinensischen Selbstmordattentätern und den japanischen Kamikaze-Piloten wird unmittelbar erklärbar, wenn man die religiösen Elemente ihres Wahns ernst nimmt. Unmittelbare Folgen für den politischen Alltag hat das nicht, aber das Bedrohungspotenzial des Islamismus weder zu unterschätzen, noch ihn mit etwas zu identifizieren, was ihm nur auf verführerische Weise gleicht, könnte ein Anfang sein.
© Marcus Hammerschmitt, 2005-2025